Daten statt Gene

Daten statt Gene

Like This Video 0 Susanne
Added by 11. Oktober 2015

Von der genetischen zur informationellen Evolution des Lebens?

 

Friedemann Schrenk ist Professor für Paläoanthropologie. Er vertritt die Meinung, dass biologische und kulturelle Evolution eine untrennbare Einheit bilden. Insofern sieht er die informationelle Entwicklung von intelligenten Maschinen oder digitalen Algorithmen nicht so sehr als Bedrohung, sondern vor allem als Teil der menschlichen Evolution. Aufgrund der wesentlich schnelleren Entwicklungsgeschwindigkeit ist sie drauf und dran, die bisher vorwiegend genetisch geprägte Evolution abzulösen.

 

Weitere Sendungen zum Thema:

Teilen, Tauschen, Abtauchen – unsere Reportage über die modernen Trends in der digitalen Gesellschaft.

Der Mensch – woher kommt er? – der erste Bonus-Talk auf YouTube mit dem Paläoanthropologen Prof. Dr. Friedemann Schrenk vom Senckenberg-Museum.

Der Mensch – wohin entwickelt er sich? – der zweite Bonus-Talk auf YouTube mit dem Paläoanthropologen Prof. Dr. Friedemann Schrenk vom Senckenberg-Museum.

Talk: Virtualität trifft Realität – der Talk mit dem Netzexperten Benjamin Broshi von der Deutschen Telekom Medien über das Internet, die Wirtschaft und den Menschen in der digitalen Datenwelt.

Digitalisierung, Datenschutz, Demokratie – zu unserem Bonus-Talk auf YouTube mit dem Soziologen Prof. Dr. Dr. Axel Zweck vom VDI-Technologiezentrum.

 

Sprechertext der Sendung:

Das Senckenberg-Museum in Frankfurt, der traditionsträchtige Tempel aller Naturforscher.

Drinnen hausen Dinosaurier und viele andere Lebewesen, die die Evolution im Lauf von Jahrmillionen hervor gebracht hat. Solche, die es nicht mehr gibt, wie das Mammut mit seinen gewaltigen Stoßzähnen – oder Affen, deren Vorläufer am Beginn der Geschichte des Menschen stehen. Chef der „Fraktion Mensch“, der anthropologischen Abteilung, ist Friedemann Schrenk; an der Uni Frankfurt hat er zudem den Bereich der „Paläobiomics“ aufgebaut. Im Sinn einer ganzheitlichen Systembetrachtung erforscht er mit Kollegen die Frühzeit des Menschen, seine Kultur und deren Wechselwirkungen mit der Umwelt. Schrenk ist eine Art Künstler der exakten Wissenschaft. Als Paläoanthropologe arbeitet er entlang der Fakten; das sind zuerst einmal Fundstücke aus der Frühzeit des Menschen. Mit allen zur Verfügung stehenden Methoden werden sie exakt vermessen und beschrieben. Waren das einst Schublehre, Lupe und Zeichenstift, so sind das jetzt Computertomographien und andere High-Tech-Methoden. Doch die so erfassten Fakten höchster Präzision sind nur die Noten einer Komposition. Mit ihnen beginnt der Wissenschaftler auf dem Instrumentarium der Modellbildung kreativ zu spielen.

Talk mit Prof. Dr. Friedemann Schrenk, Paläobiologe an der Uni Frankfurt und Abteilungsleiter Anthropologie im Senckenberg-Museum

Der Mensch ist nicht das einzige Wesen, das technische Fertigkeiten besitzt. Auch Affen sind in der Lage, Werkzeuge nicht nur zu nutzen, sondern auch herzustellen. Ein Indiz dafür, dass es weiterer Komponenten bedarf, die das Erfolgsmodell Mensch in seiner techno-sozialen Kultur vom Typ Affen unterscheidet: die Evolution des kollaborativen Verhaltens – und mit ihr die Entwicklung der Sprache. Teilen war erfolgreich, weil es die Gemeinschaft insgesamt stärker machte. Das Teilen – ein dem Menschen tief inne wohnendes Verhaltensmuster. Das führte bis zur modernen Arbeitsteilung, aber auch zum gemeinsam erlebten Erfolg. Und vielleicht ist es auch ein Grund dafür, warum die Netzwelt mit Likes und Share-Funktionalitäten binnen weniger Jahre – einer evolutionär kaum messbaren Zeitspanne – die moderne Gesellschaft massiv verändern konnte. Mit der Entwicklung der Technik und der kollaborativen Zusammenarbeit hat es die Spezies Mensch weit gebracht: Es gelang ihr, die Erde zu verlassen und ihren Fuß auf den Mond zu setzen, das Universum bis in die Tiefe von einigen Milliarden Jahren zu erkunden und mit gewaltigen Detektoren selbst kleinste, subatomare Prozesse im Quantenbereich aufzudecken.

Talk mit Prof. Dr. Friedemann Schrenk, Paläobiologe an der Uni Frankfurt und Abteilungsleiter Anthropologie im Senckenberg-Museum

Szenenwechsel zu den digitalen Datenspezialisten: Der Informatiker Franz-Josef Radermacher, langjähriges Mitglied des Club of Rome, nähert sich der Evolution des Menschen aus einer ganz anderen Richtung. Für ihn gibt es zwei entgegen gesetzte, wenn auch konvergierende Entwicklungslinien.

O-Ton Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Informatiker, Uni Ulm

Die Fokussierung der Evolution auf die Genetik führt zwangsläufig zur Verantwortung des Menschen, zuerst einmal die rein biologische Entwicklung zu schützen. Das entspricht auch der Auffassung vieler Vertreter in Ethikkommissionen. Eine vom Menschen geschaffene technoide Intelligenz ist auch für Radermacher zuerst einmal ein Gefahrenpotenzial für die Evolution.

O-Ton Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Informatiker, Uni Ulm

Der Paläoanthropologe hat da eine andere Sicht auf die Evolution – vielleicht auch eine, die eine Stufe höher ansetzt oder einfach nur viel weiter geht. Für Schrenk gibt es das Primat der biologischen Evolution nicht. Die biologische und die kulturelle Entwicklung des Menschen bilden eine untrennbare Einheit, die biokulturelle Evolution. Die vom Menschen erzeugten Maschinen, die Roboter und die sie steuernden digitalen Daten sind damit integraler Teil des evolutionären Prozesses. Fest steht aber auch: Die Dominanz ist von der genetischen auf die informationelle Seite gewechselt und deren Geschwindigkeit so rasant, dass die biologische Evolution mit genetischen Veränderungen über viele tausend Generationen hinweg keine Chance mehr hat.

Evolutionäre Verwerfungen sind bei derartigen Umwälzungen über Generationen hinweg unabdingbar, im Maßstab der Evolution aber letztlich bedeutungslos. Denn die Evolution kennt nur ein Ziel: die Optimierung des Lebens – und damit der Intelligenz. Maschinell getriebene Intelligenz – der neue Weg der biokulturellen Evolution? Ist die digitale Intelligenz jetzt auf dem Vormarsch – mit der dynamisch steigendenRechengeschwindigkeit, mit den sich weiter entwickelnden Algorithmen und der gewaltigen digitalen Kommunikationsfähigkeit untereinander? An diesem Punkt haben wir vollends den harten Boden naturwissenschaftlicher Betrachtung verlassen. Wissenschaftler halten sich gern bedeckt, wenn es auf solch unsicheres Terrain geht. Dennoch habe ich im letzten Teil meines Gespräches versucht, dem Paläoanthropologen eine persönliche Vermutung zu entlocken, wo die Bestimmung des Menschen aus evolutionärer Perspektive liegen könnte.

Talk mit Prof. Dr. Friedemann Schrenk, Paläobiologe an der Uni Frankfurt und Abteilungsleiter Anthropologie im Senckenberg-Museum

Erstsendung: Oktober 2015

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